Gesellschaft Kolumnen

Das Bittgebet im Islam

Das persönliche Bittgebet (du’â) ist ein zusätzliches, formloses und nicht zeitgebundenes Gebet, bei dem sich der Mensch mit seinem ganzen Wesen an den Schöpfer wendet und seine Wünsche äußert. Die Bedeutungen, die das arabische Wort Du’â beinhaltet, lauten dem Lexikon zufolge Anrufung Gottes, Ruf, Gebet, Bitte und Äußerung dessen, was man von Gott erfleht. Das Wort selbst wird an 20 Stellen im Koran namentlich erwähnt.

In der islamischen Literatur versteht man unter Du’â, dass ein Diener vor der Großartigkeit und Erhabenheit Gottes seine Schwäche eingesteht und Gott respektvoll und ehrerbietig um Gnade und Unterstützung bittet. Beim Bittgebet treten Gott und Seine Diener also in einen Dialog miteinander. Entscheidend dabei ist das innere Erleben des Einzelnen, der die Nähe Gottes in sich spürt und Seine Präsenz im eigenen Herzen erfährt, wie in einer Überlieferung betont wird:

Himmel und Erde umfassen Mich nicht, aber das Herz Meines Dieners umfasst Mich.

Der Koran unterstreicht die Notwendigkeit und zugleich die Wirksamkeit des Bittgebets, indem er zu den Gläubigen sagt:

Sprich: Nicht kümmert sich mein Herr um euch, wenn ihr Ihn nicht anruft. (25:77)

Der Prophet Muhammad sagte:

Das Bittgebet ist das Wesen der Anbetung. (Tirmidhi)

Zum Bittgebet gehört aber nicht nur passives, nämlich mündliches Bitten, sondern auch Handeln. Das heißt, es reicht nicht aus, dass man von Gott etwas erbittet und dann darauf wartet, dass diese Bitte auch erfüllt wird. Vielmehr soll der Mensch durch sein Handeln und seinen Willen zur Erreichung seines Zieles beitragen.

Am Bittgebet ist also nicht nur die Zunge des Menschen beteiligt, sondern gleichermaßen auch seine Gedanken, seine Gefühle, seine Absicht und sein Wille.

Drei Dinge charakterisieren das Bittgebet:

  1. Die Bekräftigung der Einheit Gottes und preisendes Gedenken
  2. Die Bitte um Vergebung, Mitgefühl usw. und
  3. Die Bitte um weltliche und geistliche Gaben

Der islamischen Tradition zufolge gelten Worte wie “Es gibt keine Gottheit außer Allah!” und “Lob sei Allah!” als Bittgebet.

Und Gottes sind die Schönsten Namen; so ruft Ihn mit ihnen an. Und lasset jene sein, die hinsichtlich Seiner Namen eine abwegige Haltung einnehmen. Ihnen wird das vergolten werden, was sie getan haben! (7:180)

Weiter wird im Koran berichtet, dass das Gebet der Muslime im Paradies mit “Gepriesen sei Allah!” beginnen und mit “Lob sei Allah!” enden wird:

Ihr Gebet dort wird sein: “Preis Dir, o Gott!” und ihr Gruß dort wird sein: “Frieden!” Und zuletzt werden sie rufen: “Das Lob sei Gott, dem Herrn der Welten! (10:10)

Bittgebete beinhalten im Allgemeinen zwei wichtige Punkte: Zum Einen drücken sie unser Gottesgedenken und unsere Ehrerbietung aus, und zum Anderen werden in ihnen Wünsche formuliert. Bittgebete kann man auch in der jeweiligen Muttersprache sprechen.

Nichts ist so unwichtig, als dass es Gott nicht vorgetragen werden könnte. Bittgebete thematisieren z.B. den Wunsch nach Rechtleitung oder nach Genesung im Krankheitsfall, die Hoffnung auf eine Vergebung von Sünden und Ähnliches. Darüber hinaus sollte jede Handlung mit einem Bittgebet eingeleitet werden, ob man ein neues Kleid anzieht, verreist, einem Sterbenden beisteht, ins Bett geht oder isst. Außerdem gibt es auch Bittgebete zu besonderen Anlässen wie langen Dürreperioden, Naturkatastrophen usw..

Weitere Themen und Anlässe für das Bittgebet gibt es zuhauf: Körperliche und seelische Gesundheit, Glück im Dies- und im Jenseits, individuelle und gesellschaftliche Sicherheit, ungewollte und gefürchtete Ereignisse, Armut, trügerischer Reichtum, niedere Gelüste, Angst vor dem Teufel und der Hölle, Schulden, Trauer und Kummer, Tyrannei und Feindschaft, Machtlosigkeit, Schande; Geburt, Tod, Reise; Anbetung, Essen, Trinken, Schlaf, Träume, Aufwachen, Baden, Einkaufen; Schutz vor Schlechtigkeiten, die durch Unwissenheit, unnützes Wissen, niedere Gelüste, Hass, Eifersucht oder gefühllose Herzen entstehen; Liebe, Mitgefühl, gute Sitten etc.. Aus Gebetbüchern, in denen Bittgebete zu diesen Themen gesammelt sind, könnte man zu allen Zeiten rezitieren.

Muslime wenden sich also in ihren Nöten und mit ihren Wünschen allein an Gott. Dies schreibt der Koran auch so vor. Vor allem durch die Hinwendung zu Gott gewinnt der Mensch an Wert:

Sprich: “Nicht kümmert sich mein Herr um euch, wenn ihr Ihn nicht anruft. (25:77)

Das Bittgebet kann alle Gefühle des Herzens zum Ausdruck bringen. Gott ist immer in der Nähe der Menschen und nimmt sich ihrer an:

Wenn Meine Diener dich über Mich befragen, siehe, Ich bin nahe; Ich beantworte den Ruf des Rufenden, wenn er Mich anruft. So lass sie denn beten! (2:186)

Im Koran findet der Muslim auch die wichtigsten Gebetsformeln. In ca. 200 Koranversen geht es um das Bittgebet. In komprimierter Form beschreibt die Eröffnungssure des Korans, arabisch al-Fâtiha (Einleitung oder Vorwort) genannt, die Attribute Gottes, die Aufrichtigkeit beim Gebet und die beste Art, Gott zu dienen:

Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen! (1)
Alles Lob gebührt Gott, dem Herrn der Welten, (2)
dem Erbarmer, dem Barmherzigen, (3)
dem Herrscher am Tage des Gerichts! (4)
Dir dienen wir und Dich (allein) bitten wir um Hilfe. (5)
Führe uns den geraden Weg, (6)
den Weg derer, denen Du Gnade erwiesen hast, nicht (den Weg) derer, die (Deinen) Zorn erregt haben, und nicht (den Weg) der Irregehenden! (7)

Die Sure al-Fâtiha eröffnet nicht nur den Koran, der Muslim beginnt mit ihr in jedem seiner rituellen Gebete auch die Koran-Rezitation. Neben dieser funktionellen Bedeutung hat die Fatiha aber auch besonderen inhaltlichen Wert: In ihr werden einige der Namen Gottes genannt, sie lehrt den Tawhîd (die Einheit Gottes), und sie zeigt Muslimen die Grundzüge des Verhältnisses Gottes zu den Menschen auf. Sie umfasst kurz und knapp die wichtigsten Grundlagen des islamischen Glaubens und unterweist Muslimen in der Kunst, zu Gott zu beten. Die Fatiha lässt sich in zwei Abschnitte unterteilen: Der erste Teil ist für Gott bestimmt, der zweite für die Gläubigen.

Nach der Fatiha hört man oft ein Bittgebet, das schon der Prophet Muhammad selbst las und auch den Muslimen empfahl:

Unser Herr, gib uns im Diesseits Gutes und im Jenseits Gutes, und verschone uns vor der Strafe des Feuers. (2:201)

Ein weiteres oft gelesenes Bittgebet im Koran lautet:

Unser Herr, mache uns nicht zum Vorwurf, wenn wir (etwas) vergessen oder einen Fehler begehen. Unser Herr, und erlege uns keine Bürde auf, so wie Du sie jenen auferlegt hast, die vor uns waren! Unser Herr, und lade uns nichts auf, wofür wir keine Kraft haben. Und vergib uns, und verzeihe uns, und erbarme Dich unser. Du bist unser Beschützer. Und hilf uns gegen das Volk der Ungläubigen! (2:286)

Ein Bittgebet für diejenigen, die die Sozialabgabe abführen, hat folgenden Inhalt:

Nimm Almosen von ihrem Vermögen, auf dass du sie dadurch reinigen und läutern mögest. Und bete für sie; denn dein Gebet verschafft ihnen Beruhigung. Und Gott ist hörend und wissend. (9:103)

Neben diesen vorgegebenen Texten, die in bestimmten Situationen gebetet werden können, steht es aber auch jedem Einzelnen frei, selbst frei Gebete zu formulieren. Ein Beispiel:

Vergib uns unsere Sünden, die bewussten und die unbewussten, lass uns Dein Wohlgefallen erlangen.
Lass mich, meinen Mann, meine Kinder und meine Familie ins Paradies eingehen. Alles was ich für mich erhoffe, gönne ich auch allen anderen Menschen.
Hilf uns, auch die Herzen der Nicht-Muslime zu öffnen.
Schenke uns Aufrichtigkeit, Zusammenhalt und den rechten Glauben.
Lass uns im Glauben an Dich sterben.
Steh uns gegen den Satan und unsere Begierden bei.

                                                   (Gebet einer deutschen Muslimin)

Letzte Aktualisierung: 12. Juni 2022
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