Ich hatte einen Vater…
Er lebte bis zu seinem Militärdienst (1959) unter den harten Bedingungen des Dorfes und wuchs in Armut auf… Danach wanderte er nach Espiye aus, einer beschaulichen Kleinstadt am Schwarzen Meer zu dieser Zeit. Ein junger, kräftiger, großherziger, großzügiger und redlicher Mann. Mit freundlichem Gesicht, tiefem Blick und schwerer Seele… Die Angst, sein ganzes Leben lang arm zu sein, verfolgte ihn. Auch in Deutschland führte er seit 1970 ein bescheidenes Leben, obwohl er sich vieles hätte leisten können.
Ich hatte einen Vater… Als ich 1981 zum ersten Mal nach Deutschland kam, pflegte er den hellblaue Auto Opel Kadett wie sein eigenes Kind. Zu dieser Zeit gingen wir zusammen zum „Schrott-Platz“. Wenn wir Ersatzteile brauchten, wurden wir dort fündig. In jenen Jahren gab es türkische Bergarbeiter in der Nachbarschaft, die sich auf Reparaturarbeiten „spezialisiert“ hatten. Fast jeden Tag gab es Unterhaltungen über Autos oder Bergbau. Abends wurden in der heimeligen Atmosphäre der Kohleöfen Tee getrunken und Obst gegessen. Am häufigsten hörte ich von meinem Vater und seinen Arbeitskumpeln die Worte „Steiger“ und „Streb“.
Ich hatte einen Vater…
Er liebte nicht mit seinen Worten, sondern mit seinen Blicken und von Herzen. Auch wenn er manchmal kein Wort sagte, sprachen seine Blicke Bände…
Ich hatte einen Vater…
Er trug Weizen-Bündel von den Feldern im Dorf (1550 m hoch vom Meeresspiegel) und schulterte dann die Haselnusssäcke an der Schwarzmeerküste, damit er ein besseres Leben führen konnte… In Deutschland zog er unter Tage Kohle als Gastarbeiter.
Weizen, Nüsse und Kohle… Lebenslang hat er schwer arbeiten müssen, und diese Lasten haben schließlich seine Gesundheit bezwungen.
Ich hatte einen Vater… der unauffällig lebte und sich im Griff einer unerbittlichen Krankheit still vom Leben am 19.01.2016 verabschiedete…
Möge Gott seiner Seele gnädig sein…
Muhammet Mertek
Ein Doku-Film mit deutschem Untertitel über meinen Vater:
https://www.youtube.com/watch?v=KRZ15XFJy7Q
