Gesellschaft

Ein lebenslanger Kampf gegen SED-Diktatur

Alexander Richter-Kariger wurde wegen seiner massiven Kritik am Staat DDR, die er in einem unveröffentlichten Manuskript mit mehr als 1.000 Seiten geübt hatte, 1983 zu einer Haftstrafe von sechs Jahren verurteilt. Am Tag seiner Verhaftung wurde auch sein näheres Umfeld zu Vernehmungen zur Stasi geholt. Sein Vater, der als stellvertretender Orchesterleiter beim Polizeimusikkorps in Potsdam arbeitete, wurde nach 30 Dienstjahren am selben Tag entlassen. Alexander Richter-Kariger verbrachte elf Monate beim Sicherheitsorgan in der Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in Isolation und unter psychischer Folter, bis er im Sommer 1983 sein Urteil erhielt.

Aufgrund der Freikaufbestimmungen für politische Häftlinge zwischen der DDR und der Bundesrepublik wurde er 1985 für ca. 100.000 DM „freigekauft“ und kam daraufhin nach Westdeutschland.

Richter-Kariger betreibt seit 25 Jahren den Firstminute Taschenbuchverlag (http://www.first-minute-buecher.de/index2.html), wo er etwa 35 Bücher veröffentlicht hat. Im Januar 2021 erschien sein aktuelles Buch mit dem Titel „Häftling 46“. Das ist ein 400 Seiten langes, minutiös geführtes Gedächtnistagebuch über die Haftzeit von 1982 bis 1983 mit weiteren 100 Seiten Dokumentationen und Fotos aus der Haft. Vor allem das Gerichtsurteil und die Vernehmungsprotokolle aus dem freigegebenen Stasi-Archiv geben einen ernüchternden Einblick in den Umgang einer verlogenen Diktatur mit ihren Kritikern und den politischen Gegnern. Richter-Karigers Aktenbestand umfasst mehr als 20 Ordner, er enthält auch die Kopien des handschriftlichen Manuskripts, viele persönliche Briefe, Vernehmungsprotokolle und mehr als 1.000 Abschriften. Andere bei der Hausdurchsuchung beschlagnahmte persönliche Gegenstände sind verschwunden. Allein die in den Akten vorhandenen Dokumente belegen die Funktionsweise der SED-Diktatur. Sie belegen, wie wenig Menschenrechte und Menschlichkeit in solchen Systemen eine Rolle spielen. Man muss nicht lange nachdenken, um zu begreifen, dass es auch heute Staaten gibt, die erbarmungslos mit Andersdenkenden Bürgerinnen und Bürgern umgehen.

„Häftling 46“ ist ein aufschlussreiches, lesenswertes Buch über das Zeitgeschehen in der DDR-Diktatur und über ein persönliches Schicksal. Einmal begonnen, kann man sich der Lektüre schwerlich entziehen. Dieses Buch wird lange aktuell bleiben, denn es gibt auf diesem Erdball genug Staaten, in denen Menschenrechte und persönliche Freiheiten mit Füßen getreten werden und wo Demokraten ihr Leben aufs Spiel setzen, um gegen politische Herrschaftssysteme anzukämpfen.

Alexander Richter-Kariger und seine Frau gehören zu den deutschen Familien, mit denen wir engen, freundschaftlichen Kontakt unterhalten. Am Donnerstag, dem 29. Juli 2021 fand demnach wieder eine großartige Begegnung statt, während der wir lebhaft und sehr angeregt politische, private und kulturelle Themen diskutierten. Seine Frau sagte beim Abschied: „Wir führen die Unterhaltung bei uns weiter.“ Und darauf freuen wir uns alle.

Übrigens: Alexander Richter-Kariger ist bis heute ein engagierter Tagebuchschreiber geblieben, aber er verfasst weiterhin Romane, Kurzgeschichten und Zeitungsartikel. Trotz seines Alters – er wird in diesem Jahr 72 – ist er vielfach aktiv. Er tritt an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen als Zeitzeuge auf und berichtet authentisch über geschichtliche Vorgänge in der Zeit des geteilten Deutschland. Mit seinen Werken und Vorträgen kämpft er auch heute für die Wahrheit, Demokratie und Menschenrechte, damit sich in Deutschland keine Diktatur wiederholt und wir nicht in den Sog einer neuerlichen faschistischen Ideologie geraten.

Mein vorheriges Interview mit Alexander Richter-Kariger und die früheren Beiträge über sein Wirken sind in türkischer und deutscher Sprache auf den Web-Portalen mmertek.de und islam-aktuell.de zu finden.

Muhammet Mertek

Letzte Aktualisierung: 31. Juli 2023
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