Die Integration der in Deutschland lebenden Türken hat ihre ganz besonderen Eigenheiten und Eigenarten. Aus welchem Grund auch immer, existiert zwischen Türken und Deutschen offenbar so etwas wie eine ‚Gewebeunverträglichkeit‘. Man funkt anscheinend nicht auf der gleichen Wellenlänge. Nach einem halben Jahrhundert haben sich die Türken meiner Meinung nach noch immer weder an Deutschland noch an das (kulturelle) Klima der deutschen Gesellschaft gewöhnen können. Auch scheinen die Türken weder auf die faszinierende Landschaft Anatoliens, die ja auch von Millionen Deutschen besucht wird, noch auf die türkische Sprache und schon gar nicht auf die türkische Küche, die eine der reichhaltigsten Küchen der Welt ist, verzichten zu wollen oder zu können. Die wenigen, die dies getan haben, lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen.
Anpassungsfähig zu sein bedeutet, dass man es schafft, sich auf seine Umgebung und Situation einzustellen. Anpassungsunfähig zu sein heißt, dass man nicht damit klarkommt, sich an seine Umgebung anzupassen. Im Laufe ihrer Geschichte haben sich die Türken immer wieder als höchst anpassungsfähig erwiesen. Warum also will es ihnen in Deutschland nicht so recht gelingen? Nehmen wir doch einmal die Gründe für ihre Anpassungsprobleme genauer unter die Lupe.
Der wohl wichtigste Grund dürfte ihr Gefühl oder ihre Wahrnehmung sein, seit einem halben Jahrhundert ausgegrenzt zu werden. Und in der Tat: Das Resultat der deutschen Integrationspolitik lässt sich kaum trefflicher zusammenfassen als mit dem Phänomen Sarrazin und den auf seine Ergüsse folgenden Debatten.
Anlässlich des 20. Jahrestages der Wiedervereinigung ruft der deutsche Bundespräsident die Einwanderer zu mehr Integration auf und die Deutschen zu mehr Offenheit und Toleranz: „Wer in Deutschland zu Hause sein will, muss die Werte des Landes akzeptieren!“ Um dann nachzuschieben: „Wer unser Land und seine Werte verachtet, muss mit entschlossener Gegenwehr rechnen.“ Auf der anderen Seite betont er, dass er die Einwanderer als Bereicherung und im Islam einen Teil Deutschlands sieht.
Aber ganz abgesehen davon, dass es mit der Integration nicht weit her ist, haben viele Türken schon Probleme, uns hierzulande überhaupt nur zu akklimatisieren. Denn selbst freundlich gemeinten Annäherungen der anderen Seite (z.B. in Gestalt des Staatspräsidenten) folgen immer schnell Bemerkungen wie die von Frau Merkel, wenn sie sagt: „In Deutschland gilt nicht die Scharia, sondern das Grundgesetz“. Wenn man nach 50 Jahren noch nicht weiter ist, na dann: Gute Nacht!
Prof. Dr. Fuat Sezgin sagt: „Das Ansehen der türkisch-islamischen Welt ist immer noch schlecht in Europa. In dem Land Deutschland, wo ich lebe, kennt man die türkisch-islamische Welt nicht so gut. Einerseits ist es deren Schuld, andererseits aber auch unsere. Wir Türken wissen nicht, wie wir uns als Muslime in Europa verhalten sollen. Unsere Anpassungsfähigkeit an die Europäer ist sehr schwach ausgeprägt.“ Sezgin unterstreicht hier zwei wichtige Realitäten: Erstens, die Europäer kennen uns nicht, und zweitens, wir tun uns äußerst schwer, uns ihnen anzupassen. Seine Diagnose dürfte korrekt sein. Neben diesen beiden gigantischen Problemen verblasst die Frage der Integration bis zur Unkenntlichkeit. Aber wie ist das zu erklären, dass sich zwei Gesellschaften im Informations- und Kommunikationszeitalter über ein halbes Jahrhundert hinweg nicht geschafft haben, sich einigermaßen kennenzulernen; dass sich ausgerechnet die Türken, die ja aus einer multikulturellen Zivilisation kommen, so schlecht an die deutsche Gesellschaft anzupassen vermögen? Erst wenn wir auf diese zwei Rätsel eine zufriedenstellende Lösung finden, werden wir uns in der Gesellschaft, in der wir leben, akklimatisieren können. Und erst danach werden wir auch ‚angepasst‘ und in Toleranz leben können.
Es liegt auf der Hand: Der Weg zum näheren Kennenlernen führt über den Dialog – aber über einen aufrichtigen, innigen, beidseitig tolerant geführten und respektvollen Dialog, einen Dialog, der uns in gemeinsamen Projekten zusammenführt und dessen Ergebnis dem Wohl der gesamten Gesellschaft zugute kommt. Nur mit so einem vielseitigen Dialog, der auf der Grundlage der verfassungsmäßigen Rechte und universellen Werte fußt, werden wir unsere Probleme lösen können.
Wenn wir uns im Dialog besser kennenlernen und mehr übereinander erfahren, wird die Anpassungsfähigkeit der Türken im Laufe der Zeit steigen, und es wird zu einer Symbiose kommen: Völker aus unterschiedlichen Kulturen werden dann viel harmonischer als früher zusammenleben, und alle werden davon profitieren.
Anpassungsfähigkeit setzt also Akklimatisierung voraus. Um sich allerdings akklimatisieren zu können, muss man sich in dem sozialen Klima des Landes, in dem man lebt, auch wohlfühlen. Dazu gehört, dass man sich akzeptiert fühlt, dass man den Eindruck hat, willkommen zu sein. Leider können das die Türken heute aber nicht unbedingt von sich behaupten, zumindest nicht auf allen Ebenen. In den letzten Jahren sind Zehntausende Deutsche in die Türkei ausgewandert. Sie fühlen sich dort wohl, sie sind dort willkommen, werden dort auch mit ihrer eigenen Kultur akzeptiert. Integretationsprobleme oder Sprachprobleme sind dort gar kein Thema. Anders als bei den Türken in Deutschland hat ihre Migration aber auch keine sozio-ökonomischen Gründe. Die Türken, die in den vergangenen 50 Jahren nach Deutschland gekommen sind, waren größtenteils dazu gezwungen, eine Arbeit in der Fremde anzunehmen. Ihre Perspektive war zunächst einmal eher kurzfristig ausgerichtet; doch als sich dann im Laufe der Zeit zeigte, dass man auf Dauer eine neue Heimat in Deutschland gefunden hatte, trat die Frage nach der Akzeptanz und dem Aufnahmewillen mehr und mehr in den Vordergrund. Im Grunde genommen ist es doch ganz einfach: Wer spürt, dass er als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft mit allen Rechten und Pflichten akzeptiert wird, wird sich seinerseits auch der Gesellschaft gegenüber nicht verschließen. Das gilt für alle Menschen, unabhängig von ihrer Nationalität, Kultur oder Religion.
Muhammet Mertek