Gesellschaft Kolumnen

Trauerbesuch bei einer muslimischen Familie – Ein Erfahrungsbericht

Wenn Menschen mit verschiedenen Hintergründen, zum Beispiel in Kultur und Religion, einander persönlich kennen oder kennen lernen, wenn sie Gefühle miteinander teilen und austauschen, wenn sie Freude und Trauer gemeinsam erfahren und durchleben, lebt es sich besser zusammen. Gemeinsame Erfahrungen schaffen interkulturelle Kompetenz. Eine Erfahrung besonderer Art sind Trauerbesuche bei Muslimen. Wer als Nichtmuslim Muslimen im Todesfall sein Beileid und Mitgefühl ausdrücken möchte, dürfte sich erst einmal unsicher fühlen. „Wie verhalte ich mich korrekt, und was sollte ich lieber vermeiden?“, wird er oder sie sich wahrscheinlich fragen.

Denn jede Kultur und jede Religion hat ihre eigenen Riten, mit denen man gerade bei einem so sensiblen Thema überhaupt nicht vertraut ist. Im Folgenden möchte ich deshalb von einem solchen Trauerbesuch berichten und kurz darstellen, worauf Nichtmuslime achten sollten.

Kürzlich erlitt der Vater von drei Kindern meiner Schule im Alter von 42 Jahren einen Schlaganfall und starb daran. Vor allem die Klassenlehrer waren schockiert und betroffen. Ein Kollege, zwei Kolleginnen und ich – ich bin Muslim – beschlossen, die Familie des Verstorbenen zu besuchen und ihr unser Beileid auszusprechen. Natürlich fragten mich die deutschen Kollegen vorab, wie man sich bei einem Trauerbesuch verhält und was für ‚Geschenke‘ man mitbringt.

Bei Christen in Deutschland ist es üblich, dass man anlässlich einer Beerdigung oder zu einem Trauerbesuch Blumen schenkt. Aber Türken könnten das missverstehen. Denn mit Blumen assoziieren sie eher Freude als Trauer. Stattdessen bringen sie bei einem Trauerbesuch etwas zu essen mit, als kleine Unterstützung, um die Familie des oder der Toten zu entlasten. Nachdem ich meinen deutschen Kollegen dies kurz erläutert hatte, kamen wir überein, dass ich den Geschenk-Part übernehmen würde. Meine Frau, die uns ebenfalls begleiten wollte, bereitete Gebäck vor. Außerdem fertigte die Kassenlehrerin eines der Kinder des Verstorbenen zusammen mit den Schülerinnen und Schülern im Unterricht eine Beileidskarte an, die wir dann in ihrer aller Namen überreichen sollten.

Zu fünft trafen wir uns zu einem verabredeten Termin pünktlich vor dem Haus des Verstorbenen und wurden dort von einer Tochter empfangen. Sie geleitete uns ins Wohnzimmer, wo bereits drei türkische Frauen aus der Nachbarschaft saßen. Kurze Zeit später kam die Frau des Verstorbenen herein, ganz offensichtlich im Zustand tiefer Trauer. Wir sprachen ihr unser Beileid aus und übergaben ihr die Beileidskarte der Schülerinnen und Schüler. Ich sagte auf Türkisch, wie man üblicherweise sagt: „Başınız sağ olsun, Allah rahmet eylesin!“ (Herzliches Beileid, Gott sei ihm gnädig!) Dann fügte ich zwei bekannte Sätze aus dem Koran hinzu: „Jede Seele wird den Tod kosten“ (29:57) und „Gott gehören wir (als Seine Geschöpfe und Diener), und wahrlich, zu Ihm kehren wir zurück.“ (2:156)

Der Tisch in dem Zimmer war reichlich gedeckt mit Teigspezialitäten und Kuchensorten, die, wie wir später erfuhren, von den Frauen aus der näheren Nachbarschaft vorbereitet worden waren. Die Ehefrau des Verstorbenen saß neben meiner Frau. Man fragte uns, ob wir Tee oder Kaffee wollten, und wir einigten uns schnell auf türkischen Tee. Gerade am Anfang waren wir, dem Anlass und der Atmosphäre entsprechend, um Zurückhaltung bemüht.

Als wir dann langsam ins Gespräch kamen, berichtete uns die Witwe, was genau passiert war. Sie erzählte uns sehr emotional von den letzten Wochen, Tagen und Stunden aus dem Leben ihres Mannes. Sie beschrieb, dass ihr schon an den letzten Tagen einige Dinge an ihm aufgefallen waren: Ihr Mann hatte einiges gesagt, was man im Nachhinein als Verabschiedung deuten konnte. Er hatte Kontakt zu Menschen aufgenommen, mit denen er zuvor lange nicht mehr gesprochen hatte, und war häufig gedankenverloren durch den Garten spaziert. Ein paar Stunden vor seinem Tod hatte er wohl auch ein gründliches Bad genommen. Manche Menschen spüren offenbar, wenn es soweit ist.

Sie schilderte seine letzten Worte und Taten als schöne Erinnerungen bis ins kleinste Detail. Ungeachtet der Todesursache akzeptierte sie aber den Tod ihres Mannes als unausweichliches Schicksal und fügte sich in diese Realität. Der beste Trost aus muslimischer Sicht ist, so versicherte sie uns, dass man sich einst im Paradies wieder treffen und dort auf ewig zusammenbleiben wird.

Wir Besucher versuchten, sie zu trösten, auch die Nachbarn und Verwandten sprachen ihr Mut zu: „Das Leben geht weiter!“, „Man darf nicht aufgeben!“, solche Dinge eben. Meine deutschen Kollegen hatten sich vorher schon Sorgen gemacht, wer sich in Zukunft um die Familie kümmern würde, jetzt wo sie ohne einen ‚Ernährer‘ dastand. Aber als sie nun sahen, welche Unterstützung der Familie von Seiten der Verwandten und selbst der Nachbarschaft zuteil wurde, verstanden sie, dass man bei so einem Schicksalsschlag nicht allein gelassen wird.

Im Laufe unseres Besuchs trafen noch zwei weitere Frauen aus der Elternschaft unserer Schule ein. Während wir zusammen Tee tranken und einige Kleinigkeiten aßen, sprachen wir über die Todesursache, den Tod an sich, die Wahrnehmung des Todes durch die Kinder und seine möglichen Wirkungen auf sie. Über all diese Themen tauschten wir uns auf sehr anteilnehmende und aufbauende Weise aus. Als wir uns schließlich wieder verabschiedeten, waren wir uns sicher, dass die Witwe und ihre Kinder unseren Kondolenzbesuch als sehr positiv und tröstlich empfunden hatten.

Der Tod macht alle Menschen gleich. Egal woher wir kommen, welche Sprache wir sprechen oder zu welcher Religion wir uns bekennen – im wahrsten Sinne des Wortes sind wir alle Menschen. Die Vergänglichkeit des Lebens gibt dem Leben einen Sinn. Und wenn wir diese Vergänglichkeit gemeinsam erfahren und erleben, dann stärkt dies den Zusammenhalt zwischen uns Menschen, so verschieden wir sonst auch sein mögen.

Muhammet Mertek

Quelle: Kirche und Schule, Nr. 163, September 2012

Letzte Aktualisierung: 14. Januar 2017
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